Der Sohn der Dame aus Odessa ist in Deutschland. Ich hätte nicht gedacht, dass sie alt genug ist, einen sechzigjährigen Sohn zu haben. Vielleicht ist er auch jünger und auf anderen Wegen nach Deutschland gekommen, wer weiß das schon. Auf jeden Fall einer weniger, der in Gefahr ist.
An der Bushaltestelle unterhalten sich Männer in einer slawischen Sprache. Ich weiß nicht, ob es vielleicht Russisch oder Ukrainisch ist. Einer ruft mir „Guten Morgen“ zu, aber es ist schon Nachmittag. Er hat getrunken, ich reagiere nicht. Hinterher schäme ich mich. Vielleicht säuft er sich nur die Verzweiflung weg.
Auf Twitter berichtet eine Ukrainerin von den jungen russischen Soldaten, die ziemlich ahnungslos in diesen Krieg gestolpert seien. Die Seemannsmission erzählt von russischen und ukrainischen Seeleuten, die zusammen trinken und weinen. Ich muss an meine Oma L denken, die Ehemann und Bruder, und an meine Oma M, die gleich mehrere jüngere Brüder an den Krieg verlor. Ich verzeihe nicht. Ich verzeihe keinem, der zu Hause im Sessel sitzt und junge Menschen in den Tod schickt.
Ich suche ein Zitat von García Lorca, kann es aber weder finden noch mich erinnern. Der Wortlaut fällt mir weder auf Spanisch noch auf Deutsch ein. Es ging zwar um Blutrache, aber es hätte auch hier gepasst,
Einer weniger in Gefahr…wenigstens das.
Mit Freundin L. telefoniert. Sie arbeitet von Deutschland aus für die Regierung.